Kreisvariationen

Der Graphomat Z64 war ursprünglich als automatische Zeichenmaschine für technische Anwendungen konzipiert – eine Präzisionsapparatur, die mittels eines feinen Zeichenstifts Linien mit einer Genauigkeit von bis zu einem Zwanzigstel Millimeter auf Papier brachte. Entwickelt von dem Erfinder und Ingenieur Konrad Zuse, stand diese Tischplotter-Maschine im Dienst der Ingenieurskunst und wurde durch eine Kombination aus Lochkarten und Lochstreifen gesteuert, wobei der Zuse-Rechner Z22 oder Z25 die Steuerbefehle berechnete. Im Gegensatz zu den damals üblichen Trommelplottern, die nur eine Achse entlang einer drehbaren Papierrolle bewegten, besaß der Graphomat eine besondere Lagerung der x- und y-Achsen. Diese waren orthogonal angeordnet und bewegten den Zeichenstift direkt über ein flaches Zeichenfeld, was außergewöhnliche Präzision und Flexibilität ermöglichte. Damit wurde sie zu einem Werkzeug, das auch die Typografie berührte: erstmals konnten Buchstaben, Tabellen und Schriften automatisch und reproduzierbar gezeichnet werden, ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur digitalen Schriftgestaltung.

Konrad Zuse war nicht nur ein visionärer Ingenieur, sondern verfügte auch über eine ausgeprägte künstlerische Ader. Beinahe hätte er Grafik studiert, und nach seiner Computerkarriere widmete er sich mit Leidenschaft der Malerei. Seine Vision ging weit über die reine Technik hinaus: Er sah den Computer als ein universelles Werkzeug, das Berechnung, Visualisierung und Kunsthandwerk verbinden konnte. In den 1960er-Jahren schuf Zuse somit in Stuttgart und Berlin einen kulturellen Raum, der die Zusammenarbeit von Technikern, Mathematikern und Künstlern ermöglichte und so die Grenzen zwischen diesen Disziplinen auflöste.

In diesem kreativen Umfeld begann Frieder Nake als Mathematikstudent an der Technischen Hochschule Stuttgart, den Graphomaten nicht für technische Zeichnungen, sondern für künstlerische Experimente zu nutzen. Er programmierte mathematische Algorithmen auf Lochkarten, die vom Zuse-Rechner berechnet und vom Graphomaten ausgeführt wurden. So entstanden Zeichnungen, die durch präzise Berechnung und spielerische Zufallselemente gekennzeichnet sind. Nake gehörte zu den ersten, die Zugang zu dieser Technologie erhielten, und profitierte von der Unterstützung Konrad Zuses. Seine Arbeiten wurden 1965 in der Galerie Wendelin Niedlich in Stuttgart und 1966 im Deutschen Rechenzentrum Darmstadt ausgestellt, zwei der ersten Computerkunstausstellungen weltweit, die der neuartigen Kunstform internationale Aufmerksamkeit verschafften.

Besonders auffällig ist Nakes Werk Kreisvariationen, das 1965/66 auf dem Graphomaten entstand und zu den zentralen Arbeiten seiner frühen Computerkunst zählt. Das Motiv zeigt mehrere konzentrische Kreise, deren Linien durch algorithmisch gesteuerte Zufallsabweichungen aus dem Gleichgewicht geraten. Während der innere Kreis mathematisch exakt bleibt, wirken die äußeren Linien fast organisch, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Dieser ausgewogene Dialog zwischen Ordnung und Störung wurde bewusst programmiert: Nake ließ gezielte Schwankungen in die Gleichungen einfließen, aber auch Zufallswerte spielen. Ein charakteristischer Ausschlag, der durch einen einfachen Rechenfehler verursacht wurde, blieb erhalten und wurde zum ästhetischen Prinzip, das das Wesen der Computerkunst widerspiegelt – die harmonische Spannung zwischen Berechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit, menschlicher Intention und maschineller Präzision.

Das wohl bekannteste Werk Nakes aus dieser Zeit ist die Hommage an Paul Klee, die hier nur sehr kurz erwähnt sei, da sie die Verbindung zwischen traditioneller Kunst und digitaler Ästhetik eindrucksvoll zeigt.

Philosophisch wurde Nake durch Max Bense geprägt, dessen Informationsästhetik das zeichnerische Experimentieren mit neuen Begriffen versah. Nake verstand algorithmische Kunst als doppeldeutig: Bilder existieren zum einen als sichtbare Oberflächen für den Betrachter, zum anderen als berechenbare, codierte Strukturen in der Maschine. Diese Dualität – die gegenseitige Wechselwirkung von Mensch und Computer, von Planung und Zufall – wurde zum Kern seiner künstlerischen Theorie und ist bis heute zentral für die generative Kunst.

Die frühen Arbeiten von Nake und Georg Nees legten in den 1960er-Jahren das Fundament einer neuen künstlerischen Ausdrucksform, die Mathematik, technische Innovation und kreative Intuition vereint. Der Graphomat Z64, als Tischplotter mit seiner innovativen Mechanik, war dabei nicht nur technisches Gerät, sondern künstlerischer Partner und Inspirationsquelle zugleich. Diese Symbiose von Technik und Kunst führte schlussendlich zu einer neuen Ära, in der der Computer zum Gestalter wurde – ein Erbe, das noch heute in digitalen Schriftarten, generativer Kunst und algorithmischem Design weiterlebt.


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